“Sex wurde neu definiert und nicht nur auf Penetration reduziert” Andira, 34

Als Kind habe ich mich ständig selbst befriedigt. Ich habe mich auf den Bauch gelegt, mit dem Handballen gegen meine Vulva gedrückt und das schöne Gefühl genossen, bis ich zum Höhepunkt kam. Ich muss zu dem Zeitpunkt so 4 oder 5 Jahre alt gewesen sein. Ich war mir natürlich nicht bewusst, dass ich  masturbierte und dies etwas Sexuelles war. Ich  befriedigte mich sowohl allein in meinem Zimmer als auch in Gegenwart meiner Familie, weil es sich einfach gut anfühlte.

Ich empfand sowohl Schuld als auch Scham
Meine Eltern hatten ihre eigene Vorstellung davon, was ich da tat. Anstatt jedoch mit mir darüber zu sprechen, reagierten sie mit schamhaftem Kichern. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich spürte, dass es ihnen irgendwie unangenehm war.  Auch wenn ich es damals nicht ganz verstand, beeinflussten mich ihre Reaktionen sehr. Ich hörte zwar nicht auf, mir diese schönen Gefühle zu geben, gleichzeitig fühlte es sich so an, als  würde ich etwas Falsches tun. Ich empfand sowohl Schuld als auch Scham. 

Scham gegenüber meiner Sexualität spielte auch im Teenageralter eine große Rolle. Ich hatte häufig sexuelle Fantasien, doch  Masturbation betrachtete ich eher als Mittel zur Stressbewältigung als das Ausleben meiner Sexualität. Nichtsdestotrotz genoss ich es und  begann, verschiedenste Gegenstände in meine Vagina einzuführen:  vom Flaschenkopf einer kleinen Cola Flasche über den Stil meiner Zahnbürste, wobei letzteres sich schnell als zu dünn herausstellte, um den gewünschten Effekt zu erzielen.

Während ich beim Solosex eigentlich immer  zum Höhepunkt kam, hatte ich beim Sex mit Partnern nie Orgasmen
Als junge Frau hatte ich verschiedene Beziehungen, in denen ich sexuell jedoch nicht auf meine Kosten kam.  Ich masturbierte daher weiterhin regelmäßig. Während ich beim Solosex eigentlich immer zum Höhepunkt kam, hatte ich beim Sex mit Partnern nie Orgasmen. Stattdessen täuschte ich sie vor. Mein Fokus lag vor allem auf der Befriedigung meines Partners. Dabei entspannte ich selbst nicht und konnte mich nicht fallen lassen, was für mich eine wesentliche Voraussetzung für einen Orgasmus ist. Ich sprach mit meinen Partnern nicht darüber, was  mir gefällt und was ich brauche. Ich war frustriert und gleichzeitig beschämt. 

Mit 29 änderte sich alles, nachdem ich einen neuen, meinen  jetzigen Partner kennenlernte: ein spiritueller, bewusster und sehr aufmerksamer Mensch. Während ich mit meinen vorgetäuschten Orgasmen bisherige Partner hinters Licht führen konnte, merkte dieser Mann genau, dass ich ihm was vormachte und konfrontierte mich damit. Das war nicht angenehm, denn  plötzlich  konnte ich nicht mehr ignorieren, dass meine bisherige Sexualität unbefriedigend war. Ich fühlte mich hilflos und unsicher darüber, was ich tun sollte, und erkannte, dass eine Veränderung notwendig war.

Sex wurde hier neu und viel weiter definitiert und nicht nur auf Penetration reduziert
Mein erster Schritt auf meiner Entdeckungsreise zu mir und meinem Körper war ein Tantra Workshop, den ich gemeinsam mit meinem Partner besuchte. Alleine hätte ich es mich vermutlich nicht getraut. Auf dem Workshop haben wir uns zunächst mit unseren Ja’s und Nein’s, unseren Sehnsüchten und Grenzen befasst. Sex wurde hier neu und viel weiter definitiert und nicht nur auf Penetration reduziert. Dadurch änderte sich für mich grundlegend, wie ich Sex heute definiere und praktiziere.

Von dieser neuen positiven Erfahrung beflügelt, besuchte ich einige Kurse und Workshops, die mich mit meinem Körper vertraut machten und ganz speziell meiner Yoni. Yoni ist der tantrische Begriff für das weibliche Genital, der Vulva und Vagina also. Diesen Begriff verwende ich am liebsten. Ich erinnere mich im Besonderen an einen Kurs, in dem unsere Tantra Lehrerin uns dazu ermutigte, unsere Yoni ganz genau zu erkunden. Ich schaute sie mir im Spiegel an, berührte sie von innen und von außen, lernte sie noch einmal völlig neu kennen. In diesem Kurs ging es ganz explizit nicht darum,  einen Orgasmus zu haben, sondern das Erforschen meiner Yoni dazu zu nutzen, mit meinem Körper zu kommunizieren und mir selbst nah zu sein. 

Heute ist Solosex für mich ein Akt der Selbstliebe. In der Vergangenheit ging es mir darum, möglichst schnell zum Orgasmus zu kommen. Heute zelebriere ich die Zeit mit mir, als ein Ritual des “bei-mir-seins”. Meistens liege ich dabei halb angelehnt auf dem Rücken und lasse meine Fingerspitzen über meinen ganzen Körper wandern. Besonders meine Brüste reagieren sensibel und genießen die Berührungen. Sie sind der Schlüssel, um meine Yoni zu aktivieren. Erst wenn sie feucht ist, beziehe ich sie in mein Selbstliebesspiel ein. 

Anders als in der Vergangenheit benutze ich auch keine Vibratoren mehr, da sie für mich auf lange Sicht eher kontraproduktiv waren und zu einer Abstumpfung meiner sonst so feinfühligen Yoni geführt haben. Dildos verwende ich hingegen häufig. 

Auch die Orgasmen, die ich heute empfinde, haben eine ganz andere Qualität. Ich spüre sie nicht nur punktuell an meiner Klitoris, sondern in meinem ganzen Körper. Die Häufigkeit, mit der ich Solosex habe, fluktuiert. Wenn ich mich wohl mit mir und meinem Körper fühle, dann nehme ich mir  ein bis zweimal die Woche dafür Zeit. Aber es können auch mal mehrere Wochen vergehen, bis ich darauf wieder Lust habe.

Auch mit meinem Partner kann ich endlich Sex haben, der für uns beide schön ist und der gelegentlich in einen Orgasmus mündet. Eine Praxis mögen mein Partner und ich besonders gerne. Dabei liege ich in seinen Armen und berühre mich selbst, während er mir den Raum hält. Es geht dann weniger darum, einen Orgasmus zu haben als beim Solosex. Vielmehr spüre ich in meinem ganzen Körper eine “orgasmische Energie”, die ich oft nicht in einem Orgasmus verpuffen lassen möchte. Sex fühlt sich für mich dadurch viel “energetischer” und nicht nur rein körperlich an. 

Sex ist mittlerweile fast jeden Tag präsent in meinem Leben - meist nicht in der Form von penetrativem Sex, sondern in vielfältigen sexuellen Begegnungen.

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